Der vorschreitende Tag
war noch heisser als die beiden voraufgegangenen, die Sonne schien es
heut' auf eine ganz ausserordentliche Leistung abgesehen zu haben und
machte nicht nur in archäologischer, auch in praktischer Hinsicht
bedauerlich, dass die Wasserleitung Pompejis seit zwei Jahrtausenden zerborsten
und ausgetrocknet dalag. Strassenbrunnen erhielten da und dort ihr Gedächtnis
fort und legten ingleichem noch Zeugnis von ihrer umstandslosen Benützung
durch vorübergekommene durstige Leute ab. Sie hatten, um sich an
das verschwundene Mündungsrohr vorzubücken, eine Hand auf den
marmornen Brunnenrand gestützt und diesen, wie der Tropfen den Stein
höhlte, allmählich an der Stelle zu einer Einmuldung ausgeschürft;
Norbert machte diese Wahrnehmung an einer Ecke der Strada della Fortuna,
ihm stieg daraus die Vorstellung auf, dass auch die Hand der Zoë-Gradiva
sich ehemals hier so aufgestützt haben möge, und unwillkürlich
legte seine Hand sich in die kleine Aushöhlung hinein. Doch verwarf
er die Annahme sogleich, empfand einen Verdruss über sich selbst,
dass er darauf hatte gerathen können. Sie stand in keinem Einklang
zu dem Wesen und Benehmen der jungen Pompejanerin aus feingebildetem Hause;
Entwürdigendes lag darin, dass sie sich so übergebeugt und ihre
Lippen an das nämliche Rohr gelegt haben sollte, aus dem die Plebs
mit rohem Munde trank. Im edlen Sinn Schicklicheres, als es sich in ihrem
Thun und ihren Bewegungen kundgab, war ihm noch nie zu Gesicht gekommen;
ihn überkam's schreckhaft, sie könne ihm den unglaublich verstandwidrigen
Einfall ansehen. Denn ihre Augen besassen etwas Eindringliches; ihn hatte
ein paarmal das Gefühl angerührt, während seines Zusammenseins
mit ihr trachteten sie danach, einen Zugang ins Innere seines Kopfes auszufinden
und darin wie mit einer stahlhellen Sonde herumzusuchen. Er musste deshalb
sehr behutsam Acht geben, dass sie nichts Thörichtes in seinen Gedankenvorgängen
antrafen. Als er vor dem Hause des Meleager ankam, wusste er nicht, ob es bereits Mittagsstunde sei, und gerieth auch nicht darauf, seine Uhr danach zu befragen, doch er blieb vor der Thür, unschlüssig eine Weile auf das ›Have‹ des Einganges niederblickend, stehen. Ihn hielt eine Furcht ab hineinzutreten, und sonderbar fürchtete er sich gleicherweise davor, die Gradiva drinnen nicht anzutreffen und sie dort zu finden, denn in seinem Kopf hatte sich während der letzten Minuten festgesetzt, im ersteren Falle halte sie sich anderswo mit irgendeinem jüngeren Herrn auf und im zweiten leiste dieser ihr auf den Stufen zwischen den Säulen Gesellschaft. Gegen den aber empfand er einen Hass noch weit stärker als gegen die Gesamtheit aller gemeinen Stubenfliegen, hatte bis heute nicht für möglich gehalten, dass er einer so heftigen inneren Erregung fähig sein könne. Das Duell, das er immer für eine sinnlose Dummheit angesehen, erschien ihm plötzlich in einem veränderten Lichte; hier ward es zum Naturrecht, das der in seinem eigensten Recht Gekränkte, zu Tod Beleidigte an sich nahm als einzig vorhandenes Mittel, eine befriedigende Vergeltung zu üben oder sich eines zwecklos gewordenen Daseins entäussern zu lassen. So setzte sein Fuss sich mit jäher Bewegung doch zum Eintritt vor; er wollte den frechen Menschen herausfordern und wollte – das drängte sich fast noch gewaltsamer in ihm auf – ihr rückhaltlos zum Ausdruck bringen, dass er sie für etwas Besseres, Edleres, solcher Gemeinschaft nicht fähig gehalten habe – |