Dies andere Gesicht,
das rundherum die Dinge angenommen, drängte sich eigentlich weniger
den Augen auf, als das Gefühl oder richtiger ein umbenannter sechster
Sinn davon angerührt wurde, dieser aber so stark und nachhaltig,
dass ein mit ihm Begabter sich der auf ihn geübten Wirkung nicht
zu entziehen vermochte. Zu den derartig Ausgerüsteten hätte
allerdings unter den bereits mit dem Suppenlöffel beschäftigten
schätzbaren Tischgästen der beiden alberghi am Ingresso schwerlich
einer oder eine gezählt, doch Norbert Hanold hatte die Natur einmal
so veranlagt, und er musste die Folge davon über sich ergehen lassen.
Durchaus nicht, weil er selbst damit im Einverständnis war; er wollte
gar nichts und wünschte nichts weiter, als, anstatt sich auf die
zwecklose Frühlingsreise begeben zu haben, ruhig mit einem lehrreichen
Buch in der Hand in seiner Studirstube zu sitzen. Allein wie er jetzt
aus der Gräberstrasse durch das Herculanertor ins Stadtinnere zurückgekehrt
und völlig absichts- und gedankenlos bei der Casa di Sallustio linkshin
in den schmalen Vicolo abgebogen war, ward auf einmal jener sechste Sinn
in ihm aufgeweckt. Oder eigentlich traf diese letzte Bezeichnung nicht
zu, vielmehr wurde er von demselben in einen wunderlich traumhaften Zustand
versetzt, der sich zwischen wacher Besinnung und ihrem Verlust ungefähr
in der Mitte hielt. Wie überall ein Geheimnis behütend, lag
die lichtübergossene Todesstille rings um ihn her, so athemlos, dass
auch seine eigene Brust kaum Luft zu schöpfen wagte. Er stand an
einer Strassenkreuzung, der Vicolo di Mercurio durchschnitt die breitere,
zur Rechten und Linken sich lang hindehnende Strada di Mercurio; dem Handelsgott
entsprechend, hatten hier ehemals Handel und Gewerbe ihren Sitz gehabt,
stumm redeten die Strassenecken davon. Mehrfach öffneten sich nach
ihnen tabernae, Verkaufsläden mit zersprungenen marmorbelegten Ladentischen;
hier wies die Einrichtung auf eine Bäckerei hin, dort eine Anzahl
grosser, rundbauchiger Thonkrüge auf eine Oel- und Mehlhandlung.
Gegenüber zeigten, in die Tischplatte eingelassen, schlankere, gehenkelte
Amphoren an, dass der Raum hinter ihnen eine Schänkstube gewesen
sei, doch dicht mochten sich hier abends auch Sklaven und Mägde der
Nachbarschaft gedrängt haben, um in eigenen Krügen aus der caupona
Wein für ihre Herrschaften zu holen; man sah, die nicht mehr lesbare,
mit Mosaiksteinchen eingelegte Inschrift auf der semita vor dem Laden
war von vielen Füssen abgetreten, vermuthlich hatte sie den Vorüberkommenden
eine Anpreisung des vini praecellentis entgegengehalten. Von der Mauerwand
blickte ein ›graffito‹ her, nur in halber Manneshöhe,
wahrscheinlich von einem Schuljungen mit dem eignen Nagel oder einem eisernen
in den Bewurf eingeritzt, vielleicht spöttisch jene Lobpreisung dahin
erläuternd, dass des Schankwirths Wein seine Unübertrefflichkeit
nicht sparsamem Zusatz von Wasser verdanke. |