So war Norbert Hanold wider Erwarten und Absicht in wenigen Tagen
vom deutschen Norden nach Pompeji versetzt worden, fand den Diomed mit
menschlichen Gästen nicht allzu stark angefüllt, dagegen von
der musca domestica communis, der gemeinen Stubenfliege, bereits überreichlich
bevölkert. Er hatte nie eine Erfahrung gemacht, dass sein Gemüth
für ungestüme Regungen veranlagt sei, doch gegen diese Zweiflügler
brannte ein Hass in ihm; er betrachtete sie als die niederträchtigste
Bosheitserfindung der Natur, gab um ihretwillen dem Winter als der einzigen
Zeit einer menschenwürdigen Lebensführung weitaus den Vorzug
vor dem Sommer und erkannte in ihnen den unumstösslichen Beweis gegen
das Vorhandensein einer vernünftigen Weltordnung. Nun empfingen sie
ihn hier schon um mehrere Monate früher, als er ihrer Infamie in
Deutschland anheimgefallen wäre, stürzten sich sofort dutzendweise
über ihn als auf ein erharrtes Opfer, schwirrten ihm in die Augen,
schnurrten im Ohr, verfingen sich im Haar, liefen kitzelnd auf Nase, Stirn
und Händen. Manche erinnerten ihn dabei an hochzeitsreisende Paare,
redeten sich vermuthlich in ihrer Sprache auch »mein einziger August«
und »meine süsse Grete« an; dem Gedächtnis des Gequälten
stieg ein sehnsüchtiger Wunsch nach einer ›scacciamosche‹,
einer vortrefflich angefertigten Fliegenklatsche, auf, wie er sie im etruskischen
Museum in Bologna aus einer Gruftstele ausgegraben gesehen hatte. Also
war im Alterthum diese nichtswürdige Creatur schon ebenso die Geissel
der Menschheit gewesen, bösartiger und unabwendbarer als Scorpione,
Giftschlangen, Tiger und Haifische, die es nur auf leibliche Schädigung,
Zerreissung oder Verschlingung der von ihnen Ueberfallenen abgesehen hatten,
vor denen man sich ausserdem durch besonnenes Verhalten sichern konnte.
Gegen die gemeine Stubenfliege aber gab es keinen Schutz, und sie lähmte,
verstörte, zerrüttete schliesslich das geistige Wesen des Menschen,
seine Denk- und Arbeitsfähigkeit, jeden höheren Aufschwung und
jede schöne Empfindung. Nicht Hungerbegier und Blutdurst trieb sie
dazu, lediglich das teuflische Gelüst zu martern; sie war das ›Ding
an sich‹, in dem das absolut Böse seinen Ausdruck und seine
Verkörperung gefunden. Die etruskische scacciamosche, ein Holzstiel
mit einem daran befestigten Bündel feiner Lederstreifen, bewies:
so hatte sie schon im Kopf des Aeschylos die erhabensten Dichtungsgedanken
zugrunde gerichtet, so den Meissel des Phidias zu einem nicht wieder verbesserlichen
Fehlschlag gebracht, die Stirn des Zeus, die Brust Aphrodites, vom Scheitel
bis zur Sohle alle olympischen Götter und Göttinnen überlaufen,
und Norbert empfand im Innersten, das Verdienst eines Menschen sei vor
allem Andern nach der Anzahl von Stubenfliegen zu bewerthen, die er während
seiner Lebzeit als ein Rächer seines ganzen Geschlechtes von Urzeit
her erschlagen, aufgespiesst, verbrannt, in täglichen Hekatomben
ausgerottet habe. |