Im Saale der pompejanischen Hausgeräthsammlung sah er sich von einer Wolke weiblicher Reisekleider neuester Façon eingehüllt, die zweifellos sämtlich unmittelbar mit dem jungfräulichen Strahlenglanz von Atlas-, Seide- oder Gaze-Brautkleidern vertauscht worden waren; jedes hing durch die Vermittlung eines Aermels am Arm eines ebenso tadellos männlich costümirten, jüngeren oder ältlicheren Begleiters, und Norberts neugewonnene Einsicht in ein ihm bisher unbekannt gewesenes Wissensgebiet war so weit vorgeschritten, ihn auf den ersten Blick erkennen zu lassen, jeder war August und jede war Grete. Nur kam dies hier durch andere, vom Ohr der Oeffentlichkeit modificirte, gemässigte und gemilderte Gesprächsführung zutage:
»O sieh' mal, das hatten sie praktisch, solchen Speisewärmer wollen wir uns doch auch anschaffen.«
»Ja, aber für die Gerichte, die meine Frau kocht, muss er aus Silber gemacht sein.«
»Weisst du denn schon, ob das, was ich koche, dir so gut schmecken wird?«
Die Frage wurde von einem schelmischen Aufblick begleitet und von einem wie mit Glanzlack gefirnissten bejaht. »Was du mir servierst, kann Alles nur zur Delicatesse werden.«
»Nein, das ist ja ein Fingerhut! Haben denn die Leute damals schon Nähnadeln gehabt?«
»Das scheint beinah' so, aber du hättest nichts mit ihm anfangen können, mein Herz, dir würde er noch für den Daumen viel zu gross sein.«
»Meinst du wirklich? Und hast du denn schmale Finger lieber als breite?«
»Deine brauch' ich gar nicht zu sehen, die würde ich beim tiefsten Dunkel aus allen Anderen auf der Welt herausfühlen.«
»Das ist wirklich Alles furchtbar interessant. Müssen wir eigentlich auch noch nach Pompeji selbst?«
»Nein, das lohnt sich kaum, da sind nur alte Steine und Schutt, was von Werth war, steht im Bädeker, ist alles hierhergebracht. Ich fürchte, die Sonne würde dort auch für deinen zarten Teint schon zu heiss sein, das könnte ich mir nie verzeih'n.«
»Wenn du auf einmal eine Negerin zur Frau hättest.«
»Nein, so weit reicht glücklicherweise doch meine Phantasie nicht, aber eine Sommersprosse auf deinem Näschen würde mich schon unglücklich machen. Ich denke, wenn's dir recht ist, wollen wir morgen nach Capri fahren, mein Liebchen. Dort soll Alles sehr bequem eingerichtet sein, und in der wundervollen Beleuchtung der Blauen Grotte werde ich erst ganz erkennen, was für ein grosses Los ich in der Glückslotterie gezogen habe.«
»Du, wenn Jemand das anhört, ich schäme mich ja beinah'. Aber wohin du mich bringst, ist's mir überall recht und ganz einerlei, wo, denn ich habe dich ja bei mir.«
August und Grete rundum, für Auge und Ohr etwas gemässigt und gemildert. Norbert Hanold war's, als ob er von allen Seiten mit verdünntem Honig angegossen würde und davon Schluck um Schluck auch über die Zunge herunterbringen müsse. Es wandelte ihn ein Uebelkeitsgefühl an, und er lief aus dem Museo Nazionale davon, zur nächsten Osteria hinüber, um ein Glas Wermuth zu trinken. Verzehntfacht drang's auf ihn ein: Wozu füllte dieser hundertfältige Dual die Museen von Florenz, Rom und Neapel an, statt sich seiner Pluralbeschäftigung in den heimischen deutschen Vaterländern hinzugeben? Doch war ihm aus einer Anzahl der Causerien und Kosereden aufgegangen, wenigstens die Mehrheit der Vogelpaare habe nicht im Sinn, zwischen dem Schutt von Pompeji zu nisten, sondern sehe eine Flugabschwenkung nach Capri als zweckdienlicher an, und daraus entsprang für ihn der rasche Antrieb, das zu thun, was sie nicht thaten. Vergleichsweise bot sich ihm jedenfalls so noch am meisten Aussicht, aus dem Hauptschwarm ihres Schnepfenstriches loszukommen und dasjenige zu finden, wonach er hier im hesperischen Lande vergeblich herumsuchte. Das war auch eine Zweiheit, doch kein Hochzeits-, sondern ein Geschwisterpaar ohne stets girrende Schnäbel, die Stille und die Wissenschaft, zwei ruhige Schwestern, bei denen allein sich auf eine befriedigende Unterkunft rechnen liess. Sein Verlangen nach ihnen enthielt etwas ihm bisher Unbekanntes – wenn es nicht ein Widerspruch in sich gewesen wäre, hätte er diesem Drang das Epitheton ›leidenschaftlich‹ beilegen können –, und schon um eine Stunde später sass er in einer ›carozella‹, die ihn hurtig durch die Endlosigkeit von Portici und Resina davontrug. Eine Fahrt war's wie durch eine prangend für einen altrömischen Triumphator geschmückte Strasse; links und rechts breitete fast jedes Haus, gelblichen Teppichbehängen ähnlich, zum Dörren in der Sonne einen überschwenglichen Reichthum von ›pasta da Napoli‹ aus, dem höchsten Landesleckerbissen an dickeren oder dünneren maccheroni, vermicelli, spaghetti, cannelloni und fidelini, denen dort durch Fettdünste der Garküchen, Staubgewirbel, Fliegen und Flöhe, in der Luft herumtanzende Fischschuppen, Schornsteinrauch und sonstige Tag- oder Nachteinflüsse die intime Köstlichkeit ihres Wohlgeschmacks verliehen wurde. Dann sah über braune Lavageröllfelder der Vesuvkegel nah herunter, zur Rechten dehnte sich mit schillernder Bläue, wie aus flüssigem Malachit und Lapislazuli zusammengemischt, der Golf. Die kleine beräderte Nussschale flog, wie von einem tollen Sturm fortgewirbelt und als ob jeder Augenblick ihr letzter sein müsse, über das grausame Pflaster von Torre del Greco, durchrasselte Torre dell' Annunziata, erreichte das in unablässigem, stummgrimmigem Ringkampf seine Anziehungskräfte messende Dioskurenpaar des ›Hôtel Suisse‹ und ›Hôtel Diomède‹ und hielt vor dem letzteren an, dessen altclassischer Name den jungen Archäologen wieder, wie bei seinem ersten Besuch, zu der Gasthofswahl bestimmt hatte. Wenigstens mit scheinbar grösster Gemüthsruhe schaute indess der moderne schweizerische Concurrent vor seiner Thür diesem Vorgange zu; er war darüber beruhigt, dass auch in den Töpfen des classischen Nachbars nicht mit andrem Wasser gekocht wurde als in seinem und dass die drüben verführerisch zum Ankauf ausgestellten antiken Herrlichkeiten ebensowenig wie seine unter der Aschendecke herauf nach zwei Jahrtausenden wieder ans Licht gekommen seien.

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